CfP Verwandtschaft und Geschäft. Recht, Geschlecht und Generationperspektiven (16.–20. Jahrhundert)
CfP - Tagung: Bozen, 17.-19. September 2020
CFP
Kinship and Business. Law, Gender and Generational Perspectives (16th–20th Centuries)
Verwandtschaft und Geschäft. Recht, Geschlecht und Generationperspektiven (16.–20. Jahrhundert)
Parentela e impresa. Diritto, genere e prospettive generazionali (secc. XVI-XX)
Bolzano/Bozen, September 2020
Organisationsteam:
Margareth Lanzinger (Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien)
Siglinde Clementi (Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte, Freie Universität Bozen)
Andrea Bonoldi (Dipartimento di Economia e Management, Università di Trento)
17.–19. September 2020, Freie Universität Bozen
Deadline: 28. Februar 2020
Wirtschaften gestaltet sich in und über soziale Beziehungen. In der wirtschafts- und sozialhistorischen Forschung stehen dabei je nach Perspektive ganz unterschiedliche Formen und Qualitäten sozialer Beziehungen im Fokus. Unternehmen als Form sozialer Organisation des Wirtschaftens gehören zu den etablierten Themenfeldern. In den letzten Jahrzehnten hat sich die historische Verwandtschaftsforschung konstituiert, die sich sowohl den kulturell und rechtlich geprägten Konzepten von Verwandtschaft widmet als auch spezifischen Beziehungsnetzen und Organisationsformen und damit verbundenen Praktiken des Wirtschaftens. Aus Sicht der historischen Verwandtschaftsforschung erscheint eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Zusammenhängen von Verwandtschaft als Form sozialer Organisation und von Unternehmen lohnend, denn bis heute werden zahlreiche Unternehmen von Gruppen miteinander verwandter Personen geführt oder durch deren Interessen als Kapitaleigner*innen bestimmt. Geschäftliche Logiken und verwandtschaftliche Dynamiken können dabei immer in wieder neue Situationen führen, aber auch Konflikte generieren, die erhebliche Auswirkungen auf Unternehmen haben können.
Aus Sicht der Verwandtschaftsforschung ist Vermögen, das durch die verwandtschaftlichen Beziehungen und die wirtschaftlichen Aktivitäten der Akteur*innen generiert, besessen, verwaltet, investiert, transferiert etc. wird, ein zentraler und prägender Aspekt, der in beide Richtungen weist: auf die Konstituierung und Praxis verwandtschaftlicher Gefüge wie auf die Struktur und Praxis von wirtschaftlichen Aktivitäten. Bildung, Verwaltung und Transfer von Vermögen können sehr unterschiedliche materielle und kulturelle Formen annehmen. Eine Möglichkeit der Vermögensbildung für Verwandtengruppen war das Engagement in Unternehmen, sei es als aktive Unternehmer und Unternehmerinnen, durch freiwillige oder erzwungene Kapitaleinlagen oder durch Arbeitsbeziehungen mit dem Unternehmen. Die Bewirtschaftung dieser Ressourcen durch vielfältige Interaktionen und Transaktionen war von wirtschaftlichen Erwartungen und Kalkülen getragen, folgte aber auch den Logiken unterschiedlicher sozialer Beziehungen. Wie sich diese Logiken definierten, war auf Basis von spezifischen Rechtskulturen, von Konzeptionen von Geschlecht und Generation, von Vorstellungen über Zugehörigkeit und soziale Nähe, über Angemessenheit und Gerechtigkeit, über Sicherheit und Risiko etc. sozio-kulturell geprägt. Der Schwerpunkt der Tagung liegt auf Fragen des Wirtschaftens mit Vermögen im Kontext von Unternehmen und Betrieben – sei es im Handel oder in der Produktion. Dabei möchten wir von einem erweiterten Verständnis von Unternehmen ausgehen und damit nicht nur Handelsgesellschaften und Industrieunternehmen, sondern auch kleine Unternehmen in Handwerk, Handel und Dienstleistung sowie unternehmerische Betätigungen in der Agrarwirtschaft einbeziehen. In vielen Fällen ergeben sich ohnehin Überschneidungen zwischen verschiedenen Bereichen unternehmerischer Aktivitäten und verwandtschaftlichen Beziehungen.
In Hinblick auf soziale Beziehungen adressiert die Tagung insbesondere Verwandtschaft und Ehe. Die Ausgangspunkte liefern grundlegende Fragestellungen und Erkenntnisse der neuen historischen Verwandtschaftsforschung, die sich auf die soziale und ökonomische Praxis ebenso beziehen wie auf Diskurse. Verwandtschaft wird demnach und entgegen älteren Annahmen als eine relevante Größe und Kategorie durch die Geschichte der Neuzeit hindurch und bis in die Gegenwart erachtet. Für die Frühe Neuzeit wurden – nach sozialen Milieus und Regionen differenziert – Tendenzen der Hierarchisierung innerhalb des Familien- und Verwandtschaftsverbandes in Hinblick auf den Zugang zu Ressourcen und Autorität konstatiert – vornehmlich in Adel, Patriziat, aber auch in manchen bäuerlichen Milieus. Diese Veränderung war mit der Bevorzugung eines oder mehrerer Söhne und mit dem Ausschluss der anderen Söhne und der Töchter aus der Besitznachfolge und damit verbundenen Macht- oder Herrschaftspositionen verkoppelt. Folglich stellt sich die Frage, ob Unternehmen vergleichbare ‚dynastische‘ Strategien verfolgten oder anders agierten.
Bisherige Studien haben gezeigt, dass Verwandtschaftsbeziehungen in Handelsunternehmen eine herausragende Rolle spielten und dabei ging es nicht nur um die Konsolidierung des Firmenbesitzes, sondern auch um die Organisation der unternehmerischen Tätigkeit. Die Zuweisung von Positionen und Funktionen an Familienmitglieder in Unternehmen diente zudem der Reduzierung von Transaktionskosten und stellte vielfach eine wichtige Strategie des Ausbaus und der Verankerung von Leitungskompetenzen und Wissen dar. Andererseits verhinderten fortdauernde enge Beziehungen zwischen Familie und Unternehmen in der Industriewirtschaft häufig deren Expansion, da der Zuwachs von Kapital und anderen Unternehmensressourcen beschränkt blieb.
In diesem Zusammenhang kam dem Ehegüterrecht – ob das eheliche Vermögen ein gemeinschaftliches oder ein getrenntes war –nicht weniger Bedeutung zu als der Besitznachfolge und dem Erbe, ebenso wie der Frage nach der Bedeutung und nach dem Umgang mit den von Frauen in die Ehe eingebrachten Erbteilen, Mitgiften oder Heiratsgütern. So konnte die Mitgift der Ehefrau die Kreditwürdigkeit des Ehemannes erhöhen, die nötigen Mittel für Investitionen oder eine Teilung des Unternehmens liefern oder Schulden bewältigbar machen; umgekehrt konnte die betriebliche Situation aber auch die Wahl der Ehepartnerin, des Ehepartners beeinflussen. Welche unternehmerischen Möglichkeitsräume eröffneten sie und welche Konfliktpotenziale brachten sie mit sich?
In solchen sich kreuzenden Perspektiven orten wir ein Forschungsdefizit, dem wir mit der transepochal vom 16. bis ins 20. Jahrhundert angelegten Tagung begegnen möchten. Die Beiträge sollen Unternehmen und Verwandtschaft – in Verbindung mit Recht, Geschlecht und Generation – aufeinander beziehen. Daraus lassen sich folgende Fragestellungen ableiten:
• Welche Verwandtschaftsnetzwerke prägten Unternehmen in Hinblick auf Finanzierung und Führung? Welche sozialen Beziehungen und Organisationsformen lagen Geschäfts- und Betriebskonstruktionen zugrunde?
• Auf welche Weise hat die Verflechtung zwischen Familie und Unternehmen die Expansion des Unternehmens beeinflusst und welche Folgen hatte das auf Räume und Regionen, die sich durch eine starke Präsenz von Familienunternehmen auszeichneten?
• In welchem Verhältnis standen das von Frauen eingebrachte Vermögen, das Familienvermögen und das Unternehmensvermögen? Welche Verknüpfungen und Überschneidungen gab es zwischen Familien, verzweigten Verwandtschaften und Unternehmen? Welche Rolle spielte das von Frauen eingebrachte Vermögen in Unternehmen?
• Inwiefern beeinflussten verwandtschaftliche Strategien unternehmerisches Handeln und umgekehrt?
• Welche Rechtsnormen prägten Familienunternehmen und welche Rechtspraxis folgte daraus?
• Auf welche Weise waren Frauen in Vermögenstransaktionen involviert?
• Wie gestalteten sich generationale Übertragungen von Unternehmen und welche Regelungen zur Konfliktvermeidung gab es bzw. welche Konflikte resultierten daraus?
• Wie gestalteten sich Unternehmen im Falle von außergewöhnlichen Familien- und Verwandtschaftskonstellationen wie Witwenschaft oder Vormundschaftsverwaltung?
• Wie wirkten sich familiäre Konfliktsituationen – etwa Brüderzwist oder eine Trennung – auf die ökonomische Praxis aus?
Keynote: Martha Howell, Columbia University
Tagungssprachen sind Deutsch, Englisch und Italienisch mit Simultanübersetzung ins Englische.
Bitte senden Sie einen Themenvorschlag (1 Seite/300 Wörter) und einen KurzCV in der gewählten Tagungssprache bis 28. Februar 2020 an:
Siglinde Clementi (Freie Universität Bozen), siglinde.clementi@unibz.it